Wale und Delfine haben offenbar eine Menge zu erzählen. Manche schicken immer wieder klickende und knackende Geräusche ins Wasser, die ein bisschen an einen Morsecode erinnern. Andere komponieren aus quietschenden und zwitschernden, glucksenden und grollenden, knarrenden und heulenden Tönen fast unwirklich klingende Gesänge. Es gibt inzwischen keinen Zweifel mehr daran, dass die Tiere auf diese Weise miteinander kommunizieren. Was genau aber wollen sie sagen? Sind ihre Botschaften auch für Menschen zu verstehen? Und können oder sollten wir ihnen antworten? Solche Fragen stoßen in letzter Zeit auf immer größeres Interesse. Denn die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) bietet auch bei der Erforschung von Tier-Sprachen ganz neue Möglichkeiten.
Die Idee, sich mit Meeressäugern zu „unterhalten“, ist allerdings keineswegs neu. Schon in den 1970er Jahren haben Menschen zum Beispiel versucht, mit Großen Tümmlern ins Gespräch zu kommen. Viele dieser Delfine wurden damals in Aquarien gehalten, und so gab es Gelegenheit genug für einen regelrechten Sprachunterricht. Zwei junge Weibchen namens Phoenix und Ake haben sich dabei als besonders gelehrige Schülerinnen gezeigt. Ein Team um den US-amerikanischen Meeresbiologen Louis Herman hat ihnen beigebracht, Geräusche aus dem Computer oder Gesten ihres Trainers mit verschiedenen Gegenständen und Aktionen in Verbindung zu bringen.
Ähnlich wie Wörter in einem Satz ließen sich diese Symbole auf unterschiedliche Weise aneinanderreihen, sodass sich jeweils andere Bedeutungen ergaben. Wurde ihr zum Beispiel „Surfbrett“, „holen“ und „Person“ signalisiert, brachte Phoenix das Surfbrett zu einer Person. Lautete die Reihenfolge dagegen „Person“, „holen“, „Surfbrett“, so transportierte sie die Person zum Surfbrett. Und sie verstand auch problemlos, dass sich das Zeichen für „Reifen“ nicht nur auf ein bestimmtes Exemplar bezog, sondern auf Reifen aller Größen und Farben.
Mit der Zeit meisterten die Tiere dann nicht nur die Bedeutung verschiedener Symbole und die Tücken des Satzbaus, sondern auch verschiedene andere sprachliche Herausforderungen. So interpretierten sie sehr erfolgreich Sätze, in denen neue Wörter oder unbekannte Konstruktionen vorkamen. Sie konnten beantworten, ob sich ein bestimmter Gegenstand in ihrem Becken befand oder nicht. Und sie waren sogar in der Lage, scheinbar unmögliche Forderungen zu erfüllen. Der Befehl „Reifen“ und „durch“ ließ sich zum Beispiel durchaus umsetzen, auch wenn der Gegenstand am Boden des Beckens lag: Man musste das Ding nur an einer Seite mit der Schnauze anheben und dann hindurch schwimmen.
Solche Versuche sind allerdings etwas aus der Mode gekommen. Statt den Tieren etwas über die menschliche Sprache beizubringen, konzentriert sich die Forschung lieber auf das Entschlüsseln von Botschaften, die Wale und Delfine von Natur aus senden. Davon gibt es jede Menge, und die wenigsten davon sind bisher für Menschen verständlich. Doch es gibt Ausnahmen.
So weiß man inzwischen, dass jeder Große Tümmler einen ganz persönlichen Pfiff auf Lager hat, den er sehr häufig zum Einsatz bringt. Diese sogenannten Signatur-Pfiffe nutzen die Tiere ganz ähnlich wie Menschen ihre Namen: Problemlos können sie die Signale von Familienmitgliedern, Bekannten und Fremden unterscheiden – und sie haben ein extrem gutes Gedächtnis dafür. In einem Playback-Experiment hat Jason Bruck von der Stephen F. Austin State University in Texas festgestellt, dass die Tiere die Laute von früheren Bekannten auch nach mehr als 20 Jahren Trennung noch wiedererkennen.
Wahrscheinlich helfen diese Äußerungen dabei, den Zusammenhalt zwischen den Gruppenmitgliedern zu stärken. Große Tümmler leben in komplexen Gemeinschaften, in denen sich kleinere Gruppen immer wieder zu größeren zusammenschließen und dann wieder in kleinere Einheiten zerfallen. Um da den Überblick zu behalten, kann es durchaus nützlich sein, wenn alle Bekannten so etwas wie akustische Personalausweise haben. Zumal es unter Wasser nur schwer möglich ist, Artgenossen aus einiger Entfernung am Aussehen oder Geruch wiederzuerkennen.
Es könnte sogar sein, dass sich die Tiere gegenseitig mit ihren Namen ansprechen. Dafür sprechen faszinierende Beobachtungen, die ein Team um Vincent Janik von der University of St. Andrews und Stephanie King von der University of Bristol vor der Küste Schottlands gemacht hat. Hört ein Tümmler dort den Signaturpfiff eines Artgenossen, dauert es meist keine Sekunde, bis er diesen imitiert. Vor allem passiert das, wenn er zu dem Pfeifer eine enge Bindung hat – wie es etwa zwischen Mutter und Kind oder zwischen männlichen Verbündeten der Fall ist.
Dabei geben die Imitatoren nie eine exakte Kopie eines Pfiffs zum Besten, sondern wandeln das Original leicht ab. Es scheint also nicht darum zu gehen, andere zu täuschen. Wenn sie sich hinter einer fremden Identität verstecken wollten, müssten die Imitatoren ja möglichst genaue Kopien der fremden Pfiffe zu Gehör bringen. Und anders als einige männliche Singvögel wollen die Delfine ihr Gegenüber auch nicht provozieren oder in die Schranken weisen. Aggressionen sind in solchen Situationen nicht im Spiel. Vielmehr scheint das gegenseitige Rufen tatsächlich den Zusammenhalt zu stärken und anzuzeigen, wo sich der andere gerade befindet.
Auch im Leben der großen Wal-Arten spielt Kommunikation eine wichtige Rolle. Zu den am besten untersuchten „Meeressprachen“ gehört mittlerweile die der Pottwale. Anders als zum Beispiel Buckelwale können diese zwar nicht mit beeindruckenden Gesängen aufwarten. Trotzdem haben sie keine Schwierigkeiten, ihre Botschaften an die Artgenossen zu bringen.
Bei ihren Unterhaltungen tauschen zwei oder mehr Pottwale kurze Sequenzen aus zwei bis 40 Klicklauten aus, die Fachleute „Codas“ nennen. Ähnlich wie beim Morse-Code scheinen die Informationen dabei sowohl in den Geräuschen selbst als auch in den unterschiedlich langen Pausen dazwischen zu stecken. Diese Elemente kombinieren die Tiere zu verschiedenen Typen von Codas, die sich je nach Meeresregion deutlich unterscheiden. So sprechen die Bewohner des Atlantiks andere Dialekte als ihre Kollegen im Pazifik oder im Indischen Ozean. Und auch jede Familie hat ihre akustischen Eigenheiten, die von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Die Kälber brauchen allerdings mindestens zwei Jahre, bis sie den jeweiligen Dialekt beherrschen. Während sie anfangs alles Mögliche vor sich hin plappern, grenzen sie ihre Laute später auf diejenigen Sequenzen ein, die in ihrer Familie angesagt sind.
Was genau die einzelnen Codas bedeuten, ist allerdings noch weitgehend unklar. Ähnlich wie bei den Delfinen scheinen einige davon Informationen über die Identität des Rufers zu liefern. Aber was ist mit dem Rest? Das 2020 ins Leben gerufene Projekt „Cetacean Translation Initiative“ (CETI) hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Rätsel mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu lösen.
Die Forschungs- und Naturschutzinitiative hat sich mit Partnern von insgesamt 15 Universitäten und anderen Einrichtungen zusammengetan, um die Pottwale vor der Karibik-Insel Dominica zu belauschen. Dabei kommen Unterwasser-Mikrofone zum Einsatz, die an Bojen oder Drohnen, an Roboterfischen oder mit Saugnäpfen an den Walen selbst befestigt sind. Den so aufgezeichneten Wust an Klicks gilt es dann zu analysieren.
Mithilfe des sogenannten maschinellen Lernens lässt sich diese Aufgabe heutzutage an technische Helfer delegieren. Wenn man ihnen genügend Daten aus dem Ozean zum Trainieren zur Verfügung stellt, können sich Computer selbst zu Experten für Pottwal-Sprache ausbilden: Spezielle Algorithmen analysieren dann gewaltige Mengen von Klicks und suchen darin nach charakteristischen Mustern. Diese Form der Künstlichen Intelligenz hat in den letzten zehn Jahren rasante Fortschritte gemacht und soll nun helfen, die Kommunikation verschiedener Tierarten besser zu verstehen.
So ist es bereits möglich, die Klicks von Pottwalen automatisch zu erkennen und zu unterscheiden, ob sie gerade zur Navigation oder zur Kommunikation eingesetzt werden. Auch lassen sich die aufgezeichneten Codas schon einzelnen Individuen oder Clans zuordnen. Doch dabei soll es nicht bleiben. Fachleute hoffen, künftig tatsächlich die Bedeutung der verschiedenen Sequenzen entschlüsseln zu können. Dazu wollen sie nach Verbindungen zwischen den Lauten der Tiere und ihrem Verhalten suchen. Doch bis Menschen tatsächlich verstehen können, worüber Pottwale reden, wird noch viel Forschungsarbeit nötig sein.
Was aber, wenn das tatsächlich klappt? Wäre es dann möglich, ein Gespräch mit den Tieren anzufangen? Und sollte man das überhaupt probieren? Für CETI-Leiter David Gruber ist das nicht das Ziel. „Wir erklären oft, dass wir bei CETI nicht versuchen, mit Walen zu sprechen“, schreibt der Meeresbiologe auf der Website der Initiative. „Wir hören zu und übersetzen, was sie sagen.“ Damit wolle man vor allem mehr Verständnis für diese faszinierenden Tiere wecken und so zu ihrem Schutz beitragen.
Diesen Ansatz halten andere Experten für durchaus überzeugend. Mark Ryan von der Wageningen University & Research in den Niederlanden und Leonie Bossert von der Universität Tübingen haben sich mit den ethischen Herausforderungen bei der Erforschung von Walsprachen beschäftigt. Aus ihrer Sicht gibt es durchaus gute Argumente für die wissenschaftlichen Lauschaktionen. Wenn es mithilfe der KI gelänge, die Klicks oder Gesänge in etwas für Menschen Begreifliches zu übersetzen, könne das gleich mehrere Vorteile haben. Wer die Tiere und ihre Verhaltensweisen besser verstehe, könne sie vielleicht auch erfolgreicher vor Schiffskollisionen, dem unbeabsichtigten Tod in Fischernetzen oder den störenden Auswirkungen menschlicher Sonarsysteme schützen. Wenn man Rufe erkenne, die Wale in Notsituationen ausstoßen, könne man womöglich auch Fällen von illegalem Walfang auf die Spur kommen oder Strandungen verhindern.
Zudem sei die emotionale Botschaft der sprechenden Wale nicht zu unterschätzen. Das bewies schon in den 1970er Jahren eine Schallplatte mit Buckelwalgesängen, die der 2023 verstorbene Walforscher Roger Payne damals veröffentlicht hat. Die Stimmen aus dem Ozean verkauften sich nicht nur extrem gut, sondern brachten auch viel Unterstützung für den Schutz der faszinierenden Meeresbewohner. Vielleicht kann eine erfolgreiche Übersetzung der Walsprache ja einen ähnlichen Effekt erzielen.
Allerdings sehen Mark Ryan und Leonie Bossert durchaus auch Probleme beim Einsatz der technischen Übersetzungshelfer. Diese treten aus ihrer Sicht vor allem dann auf, wenn man sich nicht aufs Zuhören beschränkt. Versuche, mit den Tieren zu sprechen, halten die beiden Fachleute derzeit nicht für sinnvoll. Denn das kann ihrer Einschätzung nach zu emotionalen, körperlichen und kulturellen Schäden bei den Walen führen.
So weiß man inzwischen, dass es bei etlichen Arten tatsächlich unterschiedliche Kulturen gibt: Die Bewohner verschiedener Meeresregionen unterscheiden sich nicht nur in ihren Jagdmethoden oder kulinarischen Vorlieben, sondern eben auch in ihrer Kommunikation. Wer den Tieren also die Laute anderer Populationen oder sogar Kunst-Stimmen aus dem Computer vorspielt, verändert damit womöglich die lokale Walsprache. Bisher kann niemand einschätzen, was das für die verschiedensten Lebensbereiche von der Jagd über die Navigation bis hin zur Paarung bedeuten würde. „Wenn Menschen sich einmischen, könnte das für die Wale dramatische und fundamentale Konsequenzen haben“, schreiben die Forscher.
Zudem sei es riskant, einfach irgendwelche Botschaften in die Ozeane zu senden, deren Bedeutung noch unklar ist. Wer weiß, ob sie die Tiere nicht verwirren, ihre Orientierung beeinflussen und sie stranden lassen können? „Wir sollten offen sein für die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz“, resümieren Mark Ryan und Leonie Bossert. „Aber wir sollten sicherstellen, dass sie uns mit anderen Tieren verbindet, den Artenschutz voranbringt und unser generelles Verhältnis zur Natur verbessert.“ Zu viel Quatschen ist dabei nicht immer hilfreich.

