TECHNOLOGIE & ZUKUNFT

Wertekommission

Dahinter steht die „Initiative Werte Bewusste Führung e. V“. Seit 2005 betreibt sie einen intensiven, kontinuierlichen Dialog über die Bedeutung von Werten in der Wirtschaft, über alle Branchen und Hierarchieebenen hinweg. Ihr Vorsitzender ist Sven H. Korndörffer, der die Ziele der Wertekommission hier vorstellt.
Autor: 
Sonja Still
, Fotograf: 
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Wertekommission

Nach dem harten Aus von Enron Anfang der 2000er Jahre, einem mit vielen Werte-
preisen hochdekorierten US-Konzern, welcher dann ob unvorstellbarer Bilanz-manipulationen plötzlich spurlos, aber für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umso spürbarer, vom Markt verschwand, trafen sich in Frankfurt engagierte junge Leute aus Unternehmen, um dafür einzutreten, Werten wieder Glaubwürdigkeit in Unternehmen zu verleihen. Sie initiierten kurzerhand eine Initiative für wertebewusste Führung in Deutschland: Die Wertekommission. 

Seit ihrer Gründung in Berlin im Jahr 2005 führt diese nunmehr einen kontinuierlichen und intensiven Dialog zum Thema „Werte schaffen Wert“ mit Führungskräften der deutschen Wirtschaft, mit Wirtschaftsethikern, mit Politikern, mit Künstlern, Religions- und Medienvertretern sowie Meinungsführern von Non-Profit-Organisationen. Innerhalb der Unternehmen wendet sich die Initiative von Führungskräften aus Familienunternehmen, Konzernen und Wissenschaft sowohl an junge Führungskräfte, die erstmals vor der Herausforderung stehen, Führungsfunktionen zu übernehmen, als auch an erfahrene Führungskräfte bis hinauf in die Vorstandsetagen. Die Wertekommission will hierbei einen lebendigen und ergebnisoffenen Werte-Dialog in den Unternehmen initiieren und kontinuierlich weiterentwickeln, um die Werte interaktiv und nachhaltig in den Arbeitsalltag zu integrieren. Nur dann verinnerlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Werte auch. 

Ziel der Wertekommission ist es, einen möglichst breiten, Branchen und Hie-
rarchien übergreifenden Diskurs anzustoßen. Ob auf zahlreichen Diskussi-
onsveranstaltungen, durch die jährliche Führungskräftebefragung gemeinsam mit dem Lehrstuhl von Prof. Dr. Claudia Peus, Vizepräsidentin der TU München, durch Werte-Kampagnen wie „Werte zeigen Gesicht“, den aktuellen Podcast „Werte & Leadership“ oder durch Bücher wie „Apropos Werte“, in welchen ganz
konkret Anregungen und Beispiele zu finden sind, wie Führungspersönlichkeiten noch besser in ihrem Umfeld wirken können. Denn auch dies sollte mehr als
selbstverständlich sein: Vorbild für andere zu sein ist heute mehr denn je unver-
zichtbarer Bestandteil des Rollenverständnisses eines Unternehmenslenkers. Zumal Unternehmen immer noch allzu oft von Orientierungslosigkeit, fehlender Wertschätzung und Egoismen geprägt sind. Die Wertekommission ist inzwischen zu einem echten Markenzeichen in Deutschland geworden. 

Die von ihr mit entfachte und stetig geförderte Wertedebatte hat seit der Finanz- und Wirtschaftskrise zwischen 2007 und 2009 zudem enorm an Dynamik gewonnen. Die Krise hatte nicht nur vermeintlich gesicherte wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse ins Wanken gebracht, sondern auch einen eklatanten Mangel an Werteorientierung in großen Teilen der Wirtschaft offenbart. Und sie hatte die Frage nach den moralischen Grenzen des freien Wirtschaftens in bis dahin nicht gekannter Zuspitzung auf die Tagesordnung gebracht. 

Durch die Krisenerfahrung wurde nicht zuletzt auch die Frage nach dem Ver-
hältnis zwischen den Unternehmen und ihren Mitarbeitern neu gestellt. Das be-
trifft sowohl die Bewältigung konkreter Problemsituationen wie etwa Restruk-turierungen als auch ganz allgemein die Frage, wie ein konstruktives Miteinander im Unternehmen zu gestalten sei – und damit die Frage nach dem, was ein Un-ternehmen im Innersten zusammenhält. Reinhard Mohn, einer der bedeutendsten Unternehmer der Nachkriegszeit, hat diese Frage in der 1960 eingeführten Bertels-mann Grundsatz-Ordnung beantwortet: „Im Mittelpunkt all unserer betrieblichen Überlegungen steht der Mensch.“

Nach den teils dramatischen Entwicklungen der vergangenen zwanzig Jahre – ob Finanzkrise, Verwerfungen in der Automobilindustrie oder auch dem Wirecard-Skandal im Jahr 2020 – scheint das Bewusstsein dafür größer denn je, dass werteorientiertes Verhalten kein Hemmnis für den nachhaltigen Unternehmenserfolg darstellt, sondern vielmehr dessen Voraussetzung ist. 

Robert Bosch hat dies bereits im Jahre 1921 klar erkannt: „Eine anständige Art der Geschäftsführung ist auf die Dauer das Einträglichste, und die Geschäftswelt schätzt eine solche viel höher ein, als man glauben sollte.“ Wer die Diskussionen der jüngeren Vergangenheit über Moral in der Wirtschaft und die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – sowie deren erkennbare Bemühungen, dieser Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung stärker als früher gerecht zu werden – Revue passieren lässt, der ist geneigt zu glauben, dass Boschs Worte noch nie mehr Zustimmung gefunden haben als heute. 

Die nun bereits über zwei Jahre währen-de Pandemie und der furchtbare Angriffs-krieg Russlands auf die Ukraine und die damit verbundenen Herausforderungen stellen die Gesellschaft zudem als Ganzes und somit auch die Unternehmen vor eine enorme Werteprüfung. Wie werden Werte in Krisenzeiten gelebt oder sind Werte
nur etwas für Zeiten, in welchen die Wirtschaft floriert und die gesellschaftliche Ordnung eingeschwungen ist? Insofern werden die Ergebnisse der im September erscheinenden aktuellen Ausgabe der jährlichen Führungskräftebefragung, die den Wertepuls deutscher Manager und Managerinnen in Deutschland misst,
besonders aussagekräftig sein. Dort geht es u. a. um die Frage, welche Lehren Führungskräfte für sich persönlich und als Organisation aus der bisherigen Krisenzeit, insbesondere der Corona-Pandemie, gezogen haben. 

Auch ist das Ansehen der Wirtschaftseliten notorisch schlecht. Der Terminus „Manager“ ist fast zum Schimpfwort verkommen. Dies zeigt, dass das Vertrauen in die Führungsfähigkeiten und die moralische Integrität auch der Wirtschaftseliten an einem Tiefpunkt angelangt ist. Gabor Steingart, Publizist, Autor und Medienunternehmer, hat dies in seinem Buch „Das Ende der Normalität“ als schwindende Deutungs- und Definitionshoheit der alten Eliten beschrieben. 

Vielen gerade auch jüngeren Führungskräften ist deshalb klar, dass sich etwas Grundlegendes ändern muss in der Wirtschaft, um das verlorene Vertrauen und die gesellschaftliche Akzeptanz zurückzugewinnen. Die vorangegangenen Führungskräftebefragungen der Wertekommission haben dies nochmals deutlich gemacht. Die zwei wichtigsten Werte für Führungskräfte in den vergangenen Jahren waren mit großem Vorsprung Vertrauen und Verantwortung. Nachhaltigkeit jedoch, als einer der sechs Werte der Wertekommission, kommt seit dem Start der Führungskräftebefragung im Jahr 2006 immer auf den vorletzten Platz. Dabei hat die Wertekommission bei ihrer Gründung im Jahr 2005 früh erkannt, dass Nachhaltigkeit als Wert die Voraussetzung dafür ist, dass Unternehmen überhaupt erst über Generationen hinweg bestehen können. 

Die Debatte über die Frage, was sich ändern müsste, steht indes immer noch am Anfang. Dabei liegt die Antwort auf der Hand: So wie mangelnde Werteorientierung geradewegs in Krisen geführt hat, weist eine stärkere Werteorientierung in eine nachhaltig erfolgreiche Zukunft. Werte schaffen nicht nur Wert, ihre Verankerung in der Unternehmenskultur sorgt auch für ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und individuellen Interessen. 

Der Wertekanon der Wertekommission kann hier als Richtschnur dienen. Er umfasst die sechs Grundwerte Vertrauen, Verantwortung, Respekt, Integrität, Nachhaltigkeit und Mut. Er ist entstanden in der nachhaltigen, inhaltlichen und gestalterischen Auseinandersetzung junger und erfahrener Führungskräfte. Diese sechs Werte bieten eine inhaltliche Orientierung für die notwendigen Veränderungen. Sie sollen vor allem aber auch eines sein: praxisgerecht. Das Credo der Wertekommission bringt es abschließend gut auf den Punkt: Nur wer als Führungskraft Werte im Unternehmen vorlebt und diese Werte als Basis für einen glaubwürdigen Purpose nutzt, kann Mitarbeitern eine klare Orientierung geben und letztendlich Erfolg schaffen. 

Ein Interview mit Sven H. Korndörffer

Werte sollen Orientierung geben und Haltung zeigen. Tun sie das denn bei den unendlichen Wertedebatten, die wir führen - und dann wird am Ende allzu oft doch nichts umgesetzt?

Ein klarer Wertekanon kombiniert mit verantwortungsbewusster Führung, konsis-
tenten Entscheidungen und einer um-fassenden, transparenten Kommunikation erfüllt den Anspruch, Orientierung zu geben. Eine kontinuierliche, lebendige Debatte um Werte – und immer wieder auch um deren Wandel – ist dabei nicht lästig, sondern unerlässlich.

Was ist das denn: „Haltung“? Wo liegt die Substanz – wenn z. B. Lufthansa viele Steuergelder bekommt, um die Pandemie zu überstehen und hinterher zu wenig Menschen hat, die die Arbeit machen. Hat der Mensch denn da noch einen Wert?

Ich spreche nie über einzelne Unter-nehmen. Grundsätzlich gilt aber: Hal-
tung bestimmt das Handeln als Individuum und als Organisation oder Institution. Sie macht somit Werte sichtbar – im Unternehmen und draußen in der Welt – und sie entlarvt, wo ein Werte- nur ein Lippenbekenntnis ist. Ob Werte wirklich gelebt werden, das ist die Kernfrage, an der sich jedes Unternehmen, das Werte ins Schaufenster stellt, messen lassen muss.  

Welche Werte zählen: Mein Konto, mein Haus, mein Schaukelpferd? Oder Mitmenschlichkeit, Vertrauen, Aufrichtigkeit? Wo doch jedem das Hemd näher ist als die Hose?

Die  Wertekommission hat sich für die sechs Kernwerte Vertrauen, Verantwortung, Respekt, Integrität, Nachhaltigkeit und Mut entschieden, als Bezugsrahmen für ein werteorientiertes Miteinander. Wir glauben, dass es den Versuch auf jeden Fall wert ist, für ein solches Miteinander zu werben, und dass möglichst schon in Schule und Ausbildung darüber diskutiert werden muss, was wirklich zählt. Am Ende ist es aber immer eine individuelle Entscheidung, wie einzelne Werte im Verhältnis zu anderen – und auch zu einem ganz normalen, gesunden Egoismus – gewichtet werden. Die Bereitschaft zur kritischen Reflexion darüber ist mir fast wichtiger als das Ergebnis. 

Wie wünschen Sie sich die Welt in fünf Jahren?

Ganz klar: friedlicher, nachhaltiger und gerechter als heute. Ein bisschen Träumen
sollte immer erlaubt sein ... aber es wäre schon viel gewonnen, wenn in Zeiten hoher Unsicherheit, wie wir sie gerade erleben, das Wir-Gefühl gestärkt würde und wir als Gesellschaft und als Wertegemeinschaft nicht auseinanderdriften. Werteorientierung sollte gerade auch über Krisenzeiten hinweg zu einem immerwährenden Synonym für „Made in Germany“ werden. Sicherlich ein hoher Anspruch, aber dieser sollte nicht unerreichbar sein.

Was zählt wirklich? 

Für mich persönlich: Vertrauen. In Menschen und in ihre Fähigkeit, gemeinsam mehr zu schaffen als jeder für sich alleine.