GENUSS & REISE

Weindurchblick

Der Hype ist da! Winzer-Champagner ist das neue Gesprächsthema in jedem angesehenen 2-Sterne-Haus ... jetzt. Anstatt der bekannten Markenzeichen, sprich Krug und Dom Perignon oder für Kenner Salon (Cristal usw.), wird in dieser kleinen Szene, der Boheme der Gourmetszene, aktuell der Winzer-Champagner zelebriert. Kategorisch, ohne Wenn und Aber, dogmatisch.
Autor: 
Alessandro Borioni
, Fotograf: 
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Weindurchblick

Eigentlich ein paar Jahre zu spät. Denn Mitte der 2010er Jahre bekam der Sommelier noch Benoît Marguet und Jacques Selosse hinterhergeworfen, großartige Tropfen zu mehr als angemessenen Preisen. Champagner, der als Speisebegleiter funktioniert und nicht etwa zum Apéro oder gar Partygetränk degradiert wird. In Deutschland wäre dies ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sich revolutionäre Gastronomien abgrenzen können, keinen Massenmarkt bedienen und somit integer wirken. Aber 2023 sprechen wir bei diesen Produkten leider genauso von Zuteilungen, wie es LVMH vorlebt und die Preissteigerung eines Selosse lässt manchen Broker am Aktienmarkt aussehen wie einen Milchbuben, der eine Staatsanleihe suggeriert.

Insgesamt gibt es in der Champagne 19.000 Weinbauern. Die meisten davon verkaufen ihr Rebgut an die namentlich bekannten Champagner-Häuser. Auch das hat einen guten Grund. Denn oft ist der Weinbau nur ein Nebenverdienst, da die Rebflächen einfach sehr stark aufgeteilt sind. Da lohnt es sich meistens kaum, einen eigenen Champagner zu vinifizieren. Weingärten in der Champagne sind sehr, sehr teuer, dementsprechend selten kann man sich durch einen einfachen Kauf vergrößern. Wahrscheinlicher ist es, durch Heirat zu wachsen, zum Beispiel wenn einer der beiden Partner Rebflächen mit in die Ehe bringt. Wer dieses Glück nicht hat, dem bleibt noch die Möglichkeit, sich einer der gut 20 Genossenschaften anzuschließen.

Wobei sich jetzt die Frage stellt, wie man erkennt, ob man gerade einen Champagner eines Winzers, eines Hauses oder einer Genossenschaft in den Händen hält. Man muss dafür nicht alle Namen auswendig lernen, ein Blick auf die Flasche genügt.

Auf der Rückseite des Etiketts, meistens in einer der vier Ecken ganz klein gedruckt, finden Sie zwei Buchstaben, die Ihnen verraten, von wem genau der Champagner stammt. Was diese beiden Buchstaben bedeuten, fassen wir mal kurz für Sie zusammen:


NM – Négociant manipulant
An diesem Kürzel erkennen Sie ein Champagner-Haus, denn es bedeutet, dass Trauben zugekauft werden. Was uns direkt zum Haken bringt: Kauft ein kleiner Winzer für seinen Champagner Trauben hinzu (etwa weil die Ernte dürftig ausfiel), muss er auch dieses Kürzel verwenden.

RM – Récoltant manipulant
Hierbei handelt es sich um den klassischen Winzer-Champagner. Also Champagner, der von einem Winzer stammt, der ausschließlich eigene Trauben verwendet und diese auch selbst weiterverarbeitet.

CM – Coopérative de manipulation
An diesen zwei Buchstaben erkennen Sie Genossenschaften, die die Trauben ihrer Mitglieder vinifzieren und anschließend den Champagner auch vertreiben.

RC – Récoltant coopérateur
Streng genommen ist das auch ein Genossenschafts-Champagner. Allerdings von einem Mitgliedswinzer, der sich fertigen Schaumwein von seiner Genossenschaft zurückkauft und ihn unter einem eigenen Label vermarktet.

ND – Négociant distributeur
Es kann vorkommen, dass ein Champagner-Haus bereits fertige Schaum-
weine von anderen Anbietern aufkauft und sie unter der eigenen Marke vertreibt. Das ist aber sehr selten. Und wenn, dann bleiben diese meist einfachen Qualitäten eher im eigenen Land und gehen nicht in den Export.

MA – Marque d’acheteur
Dieses Kürzel steht für Großabnehmer, die riesige Mengen an bereits fertigem Champagner aus unterschiedlichen Quellen kaufen und sie als eigene Marke vertreiben. Hierbei handelt es sich in der Regel um Champagner von nicht allzu hoher Qualität. Dementsprechend günstig kann der Schaumwein angeboten werden. Diesen Champagner finden Sie vor allem im Discounter.

Wenn Sie also einen waschechten Winzer-Champagner haben möchten, sollte unbedingt das Kürzel RM irgendwo auf der Flasche zu finden sein. Und falls der Winzer Ihres Vertrauens plötzlich mal NM statt RM auf das Etikett druckt, dann musste er Trauben hinzukaufen.

Aber ist das RM auch gleichzeitig ein Garant für Qualität?
Die großen Häuser der Champagne rühmen sich ihrerseits des stetigen Geschmacksbildes und der Kontinuität, in der Schaumwein mit klar definierter „Identität“ vinifiziert wird. Hier kann der sogenannte Winzer-Champagner leider nicht mitreden, da es sich bei dem Produkt doch meist um die Expression des Jahrgangs und des vinifizierenden Winzers handelt. Die ganze Geschichte ist demnach sehr volatil, vor allem wenn Sie jetzt für Selosse-Rosé das 8-fache von dem hinblättern müssen, was Sie 2010 im 2-Sterne-Haus als Geheimtipp zum Apéro serviert bekommen haben. Von der Kultur, Champagner ernst zu nehmen, sind wir nämlich bedauerlicherweise immer noch meilenweit entfernt. „France docet!“