„Die Schokoladenindustrie ist eine Scheißindustrie“, sagt Philipp Kauffmann. Er sagt es genauso klar und deutlich und auf Nachfrage noch einmal. „Wir wissen das alle. Die Großen wie die Kleinen. Die ausbeuterischen Grundlagen unserer Industrie wurden vor Jahrzehnten gelegt, dafür kann heute keiner etwas. Doch man arbeitet weiterhin damit. Dafür kann man schon etwas.“ Kauffmann ist der Gründer und einer der Geschäftsführer der Schokoladen-Firma Original Beans. Eigentlich war er bei den Vereinten Nationen in New York als Experte für Biodiversität und Business tätig. Doch die Dringlichkeit, dieser Welt ihre Natur zu lassen und die Geschwindigkeit des Riesentankers UN sich dafür einzusetzen, ließen sich mit seiner Vorstellung, endlich zu handeln, nicht mehr vereinbaren. Vielleicht spielten auch seine Gene verrückt, denn einer seiner Vorfahren war Georg Ludwig Hartig, der schon vor 220 Jahren den Begriff Nachhaltigkeit prägte: „Jede weise Forstdirektion muss daher die Waldungen [...] so zu benutzen suchen, dass die Nachkommenschaft wenigstens ebenso viel Vorteil daraus ziehen kann, wie sich die jetzt lebende Generation zueignet.“ Vielleicht hatte er aber einfach nur zu häufig gesehen, wie für das Konsumprodukt Schokolade der Regenwald abgeholzt wird, den Bauern die Lebensgrundlage genommen und den Verbrauchern die Gesundheit ruiniert wurde. Denn Schokolade ist purer Luxus. Schokolade ist originär in Südamerika daheim. Die Azteken tranken „xocóatl“, Bitterwasser, nach „xócoc“ (bitter) und „atl“ (Wasser), ein Getränk aus Kakaobohnen. Der Kakaobaum galt ihnen als heilig.
„Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch daran, dass gute Schokolade ein Butterprodukt ist“, erzählt er. Genau, da war doch was: Kakao ist eine Frucht, da gibt’s die Fruchtsamen (aka Kakaobohnen), aus denen die Kakaobutter gewonnen wird. „Gute Schokolade lässt man auf der Zunge zergehen. Der Geschmack entfaltet sich beim Schmelzen.“ Stimmt, sagte Oma das nicht immer: „Kind, Schokolade muss man lutschen!“
Der Genuss stand bei Schokolade immer im Vordergrund. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem Luxusgetränk eine industrielle Ware. Ein „Candy Snack“ zwischendurch, der mit seinem schnellen Zucker noch schneller mobil macht. Doch in einer echten Schokolade sorgt normalerweiser der Kakao, nicht der Zucker, für den Anschub. Die Kakaobohne war und ist ein wichtiges pflanzliches Nahrungsmittel.
Der größte Teil der Kakaoproduktion kommt heutzutage von der afrikanischen Elfenbeinküste. Dort sind inzwischen 80 Prozent des Regenwaldes verloren. „Der Kakaobaum kommt aus dem Regenwald und wächst dort am nachhaltigsten. Aber im vollen Sonnenlicht kann man ihn enger pflanzen und schneller hochziehen.“
„Heal the future, don’t steal it“ – mit diesem Satz beschreibt Kauffmann sein Lebensmotto. „Könnte man mit nur 10 Prozent mehr Bereitschaft des Einzelnen rechnen, so würden wir richtig etwas bewegen in dieser Welt“, sagt er und führt dazu Fakten an, von denen er überzeugt ist, dass innerhalb einer Generation die Gefahren des Klimawandels abgewendet werden könnten. Wenn nur alle an einem Strang ziehen würden. Er war bereits 2005 beim ersten Weltklimagipfel in Kanada dabei.
Als ausgewiesener Fachmann für nachhaltiges Business packte er dann vor 15 Jahren an und wurde zum Schokoladenproduzenten. „Gute Schokolade herzustellen ist in etwa so komplex wie feinsten Champagner zu produzieren“, sagt er. Vielleicht sei es auch aufwändiger. „Würden wir wie Weine qualifiziert, hätten wir ein Biogütesiegel und würden eine ‚Appellation‘ sein.“ Er sieht sich nicht nur als Schokoproduzent, sondern als Nachhaltigkeits-Experte. Auch wenn das Wort viel zu lehrmeisterlich klingt.
Und was heißt das? Doch nicht, dass Schokolade länger anhält, sondern dass sie umweltverträglicher angebaut und geerntet wird. Original Beans produziert direkt in Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften und Kleinbauernkooperativen. So brauchen die Bauern keine Maklergebühr an Zwischenhändler zahlen. Aufgrund des höheren Preises für Kakao und konkreter Unterstützung überzeugt Original Beans die Kleinbauern, das klimabedrohende Brandroden aufzugeben und stattdessen auf eine halbwilde Landnutzung mit Kakao-Mischkulturen umzustellen, die viel nachhaltiger ist. Man hat Baumschulen gegründet und schult die Bauern zu Anbau- und Ernteverfahren. Und man stärkt die Frauen mit – nicht nur – landwirtschaftlichen Schulungen. Da gibt es Alphabetisierungskurse und Kurse für Unternehmertum und Management. Frauen werden zu Baumspezialistinnen ausgebildet. Dadurch bekommen sie das Privileg, dass wertvolle neue Setzlinge nur ihnen ausgehändigt werden. Sie können also expandieren. Man schult sie zu Kakaosommeliers und lehrt sie das Prüfen und Verkosten von Kakao. Ein eigenes landwirtschaftliches Radioprogramm unterstützt sie, sich auf dem Laufenden zu halten.
Biosiegel und Fair-Trade-Zertifikate gibt es dafür. Aber Philipp Kauffmann lässt auch den CO2-Footprint seiner Firma abbilden, Klimakosten und -einnahmen werden genau kalkuliert. Für jede verkaufte Schokolade investiert Original Beans in Bäume, die die lokalen Bauern pflanzen oder im Wald selbst schützen. Langfristig sichern die unterschiedlichen Bäume das Einkommen der Bauern und ihre Nahrungsgrundlage (z. B. Obstbäume) und bewahren gleichzeitig die Artenvielfalt des Ökosystems.
Diese Fülle von guten Argumenten scheint einen normalen Genussmenschen schier zu erschlagen. Philipp Kauffmann lacht dabei. Es muss sich schon rechnen, meint er. Und es rechnet sich. „Der Verzehr einer Original Beans Schokoladentafel gleicht die negativen Klimaeffekte von drei nicht nachhaltigen Schokoladen aus.“
Man könnte scherzen: Wer sich dreieinhalb Tafeln vom Discounter reinzieht, muss zum Klimaausgleich eine Original-Beans-Tafel essen! Der Preis, der zu zahlen ist, wäre jedenfalls in etwa gleich: 3,50 Euro kostet eine Beans-Tafel im Supermarkt. Allerdings erwirtschaftet Kauffmann mit seiner Firma vor allem in der Spitzengastronomie die Umsätze.
Sterneköche und Hauben-Patisserie weltweit setzen auf seine Schokolade. Denn sie schmeckt eben anders, echter, intensiver. Man fermentiert länger. „Stellen Sie sich vor, Sie müssen den Geschmack der Frucht in den Kern bringen.“ Dazu lässt man sich Zeit. „Wir arbeiten im Verbund mit allen, die mit Wissen und Handarbeit echtes Essen auf den Tisch stellen. Vom Marco Müller im Rutz bis zur ehrlichen Eisdiele. Von München bis New York.“ Kann man auch auf seiner Site nachlesen. Aber wieso sollte man: Man muss es nur einmal auf die Zunge nehmen, das Stückchen einer dieser Kakaotafeln. Ganz langsam, dann genussvoll zergehen lassen und man schmeckt, wie Schokolade wirklich glücklich macht.