Die Location: München, Altschwabing.
Die Straße atmet Münchner Kulturgeschichte. Die Werneckstraße liegt in dem fabulösen Stadtteil Schwabing, aber ist noch nicht überstrapaziert mit hippen Adressen. Wer mit offenen Augen am Werneckhof ankommt, der sieht gegenüber ein kleines Häusl, das seit 1800 dort steht. Es hat alle Kriege und Stadtteilsanierungen überstanden. Weiter vorn steht ein Schlösschen, das Lustschlösschen Suresnes, das 1715 errichtet wurde und viel Geschichte aus der Glanzzeit Bayerns erzählen könnte. Der Namensgeber der Straße, Freiherr von Werneck, war ein Generalleutnant, der im Auftrag seines Königs den Englischen Garten ausbaute. Er schuf den Kleinhesseloher See und erbaute den Chinesischen Turm. Von der Werneckstraße aus könnte man gut hindurchgehen zu selbigem, vorbei an den Häusern, in denen der Maler Paul Klee und die Dichterin Franziska zu Reventlow lebten, beide Ikonen der Münchner Bohème.
Hier also hat Sigi Schelling ihr eigenes Restaurant eröffnet. Es ist nicht davon auszugehen, dass sie sich aufgrund der Geschichte hier ansiedelte. Aber man darf sich denken, dass die Geschichte hier ein gutes Feld für eine wie sie geschaffen hat. Hier lebten die, die mit ihrem Leben Zeugnis gaben, was man erreichen kann, wenn man selbstbestimmt und visionär seinen Weg gestaltet. Wenn man brennt für das, was man arbeitet, wenn man leuchtet mit seinem Tun. Der Glanz des alten Schwabings und der Ruf des neueröffneten Werneckhofs unter Sigi Schellings Ägide ergänzen sich gut.
Die Küchenchefin: kurze dunkle Haare, Brille, weiße Kochjacke. Schlank. Gerade Haltung. Eindrucksvoll die klare, feste Stimme.
Es scheint ganz schön mutig, jetzt zu eröffnen, während andere ans Zumachen denken?
Ja, wer macht sich schon gern selbstständig während einer Pandemie? Da steckt man sein Geld in einen Umbau und weiß nicht, wann und ob man öffnen darf. Wenn man‘s tut, weiß man nicht, ob das Personal wiederkommt und überhaupt: Ob die Gäste Lust haben, sich wieder ins Leben zu stürzen? Aber wissen Sie was: Die haben sie! Der Werneckhof ist gut gebucht. Sowohl zum Mittagstisch als auch abends. Das freut mich wirklich sehr.
Und den ersten Stern haben Sie sich auch geholt. Das ist doch mehr als eine großartige Anerkennung!?
Freilich freue ich mich über diese Auszeichnung unglaublich. Aber so schön ein Stern ist, ich mach‘ meinen Beruf ja nicht für die Auszeichnung, ich mach‘ das für die Gäste. Ich will natürlich gut sein und will auch die Auszeichnung pflegen. Aber wenn mein Gast nicht glücklich wäre mit dem, was ich ihm serviere, dann ist ein ganzer Sternenhimmel nur Dekor und wenig wert. Die Anerkennung, die für mich zählt, ist, wenn meine Gäste immer wiederkommen.
Sie sind bestimmt schon oft gefragt worden: Warum tun Sie sich das an? Dies ist doch ein immenser Stressjob und noch immer eine Männerdomäne, in der es Frauen schwer haben.
Finde ich nicht. Also doch: Es ist ein Job, in dem man belastbar sein muss. Man hat mindestens 16-Stunden-Tage, fängt früh an und hört spät auf. Man braucht Disziplin und muss doch wieder jeden Tag Gas geben können. Darum muss ich es anders sagen: Ich bin einfach gut vom Leben darauf vorbereitet worden, dass ich diesen Beruf nun ausüben kann. Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als zu kochen. Schon als kleines Mädel habe ich mir gewünscht, Köchin zu werden. Meine Mutter hat das auch wirklich unterstützt. Ich hatte mehr Kochbücher als Kinderbücher, ich habe in der Küche werken dürfen, wie ich meinte. Im Sommer habe ich Weihnachstplätzchen gebacken und ausprobiert, was sonst noch geht. Auf unserer Alm hab‘ ich den Teig von Hand geschlagen, weil es da keinen Strom gab. Meine Mutter hat nie geschimpft oder gesagt: „Tu das nicht.“ Sie hat mich gewähren lassen und damit sehr unterstützt. Und dann sind da meine Brüder und Schwestern, die haben alles verputzt, was ich probierte zu kochen. Und wenn es nichts für sie war, wurde richtig gemeckert. Das war wohl die beste Vorbereitung auf meinen Kochberuf. Wer mit drei Brüdern auf einem Vorarlberger Bauernhof aufwächst, wird entweder Prinzessin oder nicht zimperlich. Prinzessin finde ich langweilig.
Und nun sind Sie die Königin, die das Erbe des großen Meisters übernimmt? Sternekoch Hans Haas war im Tantris über 14 Jahre lang ihr Chef, bis er sich jetzt in den Ruhestand zurückzog. München hat damit einen Starkoch weniger.
Der Chef ist nicht nur mein Vorbild, er war immer mein Mentor. Er hat mich geprägt. Von ihm habe ich das Selbstverständnis gelernt, mit dem man eine gute Küche führen kann. Er hat mich von Anfang an machen lassen, hat mir vertraut und ich konnte mit ihm ohne Angst arbeiten. Das finde ich sehr wichtig. Schauen Sie, ein Beispiel: Manchmal kommen Testesser von großen Magazinen inkognito, die bewerten, was man serviert. Da kann es schon vorkommen, dass die ganze Mannschaft aufgeregt reagiert, weil da auf einmal einer ist, der viele Fragen stellt und vieles fordert. Der Chef hat immer gesagt: „Wir machen da keinen Zirkus, wir bedienen jeden Gast so, wie wir es am besten tun können und das machen wir auf feinstem Niveau.“ Und so halte ich das hier auch. Und ja, ich bin noch immer eng mit Hans Haas verbunden. Ich kann ihn jeden Tag um Rat fragen, wenn ich will. Er nimmt Anteil an mir und bleibt mir ein Freund.
Der Werneckhof. Das Haus ist seit über hundert Jahren ein Gasthaus.
Sigi Schelling führt ins Nebenzimmer. An der Wand hängt ein Kunstobjekt. Wer keine Ahnung hat, vermutet, das könne eine Installation eines zeitgenössischen Performancekünstlers sein. Über Metallspiralen schwingen sich bunte Gerippe – ein Statement zum Klimawandel? Interpretation gibt es nicht. Kein Künstlername ist angebracht. Sigi Schelling erfreut sich daran.
„Das hat mir der Chef zur Eröffnung gebracht. Wir haben vor ein paar Jahren einmal eine Federkernmatratze ausrangiert. Und nun ist dieses Kunstobjekt entstanden. Die Karkassen stammen vom Steinbutt, die wir gemeinsam im Tantris verarbeitet haben. Wir hatten sie ausgelöst und dann ausgekocht. Daraus hat der Chef dann diese bunten Objekte gemacht.“
Haben Sie ihn je gefragt, was der Künstler damit sagen will?
Ich finde es besonders. Es ist einzigartig. Ich werde noch seinen Namen hier anbringen lassen. Aber es passt vollkommen hier rein.
Wer hat die Ausstattung gemacht, es wirkt durchaus gemütlich?
Ich habe mit Handwerkern von mir zuhause aus Vorarlberg zusammengearbeitet. Harry Künzle ist ein Freund von mir, der das Designstudio Reiter Design hat. Er hat mir zur Seite gestanden. Ich wollte es moderner, aber da dieser alte Gastraum denkmalgeschützt ist, konnte ich auch nicht einfach alles rausreißen. Und jetzt passt alles fein zusammen. Wir haben die Jugendstilfenster und die Täfelung im Original gelassen, aber die Stangen aus Schmiedeeisen oder den Fliesenboden aus den 1980ern entfernt. Und so ist ein moderner, puristischer Mix entstanden. Ich wollte nicht viel Deko. Die Vorhänge zum Beispiel waren erst gar nicht so in meiner Vorstellung, dann hat Harry diese mit Stickerei aus London von der Designers Guild gebracht. Und jetzt sind sie gerade der Stoff, der hier alles gemütlich zusammenhält.
Über Ihre Rezepte reden wir ja noch. Aber was ist denn Geschmack für Sie? Wie schmeckt zum Beispiel der Bregenzer Wald?
Nach Holz und Käse und Tradition, würde ich sagen. Ich glaube, es ist wichtig, dass guter Geschmack echt und pur bleibt. Bei mir gibt es auf dem Teller ein Hauptprodukt. Es darf nicht zu kompliziert sein. Es muss konzentriert sein. Ich lege viel Wert auf saisonale und regionale echte Produkte. Alles, was wir beziehen, kommt von Produzenten, die ich kenne. Das Fleisch kommt vom Bauernhof daheim. Mein ältester Bruder hat ihn übernommen. Er beliefert mich. Da weiß ich, wie unsere Tiere aufwachsen, was sie fressen, wie sie leben. Und ich verarbeite auch alles. Ich kauf‘ nicht einfach im Großmarkt. Ich fahre zum Bauernhof nach Landsberg, wo ich Hühner und Eier hole. Das ist mir wichtig, weil ich wissen möchte, wie es den Tieren geht. Und ich probiere in Höhenkirchen beim Gemüselieferanten die Tomaten, das Gemüse – da weiß ich, wie es angebaut wird. Sie müssen schmecken, was eine Zucchini ist, nicht einfach sagen, dass es eine Zucchini ist! Das ist für mich gutes, gesundes Essen. Man redet immer so viel darüber. Man redet von vegan und gesund und so weiter. Ich finde diese Diskussion als zu aufgesetzt. Wir müssen nicht Unmengen und irgendwie, sondern mit Bewusstsein für unsere Nahrung sorgen. Der Körper muss unsere Nahrung auch lesen können.
Und was muss der Körper trinken dürfen?
Unser Weinkeller muss noch wachsen. Wir haben eine gute Grundausstattung und mein Sommelier Xavier Didier pflegt das Pflänzchen. Wir setzen auf deutsche und österreichische Weine. Und wir können schon jetzt eine gute Weinbegleitung anbieten. Das liegt auch an der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Xavier kennt meine Küche, meine Soßen, meine Zutaten. Er kommt jeden Tag und probiert von den Speisen vorher. Dann kombiniert er, was den Geschmack am besten mit welchem Wein ergänzt. Ich denk‘, das macht schon viel Freude. Nicht nur uns, sondern vor allem den Gästen!
Und was macht Ihnen Freude?
Ach, ich habe wenig Zeit, anderes zu machen. Ein bisserl Sport, im Winter Fitness und im Sommer Rennradfahren, das ist mein Ausgleich. Aber ich will ja gar nichts anderes, als das tun, was ich tu‘. Ich liebe es zu kochen. Das ist alles, was ich will!