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Körner mit Nebenwirkungen

Das Füttern von Wildvögeln ist ein äußerst beliebtes Wintervergnügen. Aber hilft es den Tieren auch wirklich?
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Körner mit Nebenwirkungen

An Futterhäusern und Meisenknödeln herrscht in diesen Tagen Hochbetrieb. Meisen, Amseln, Spatzen und Co. nutzen gerne die Gelegenheit, sich dort ohne großen Aufwand den Bauch vollzuschlagen. Dafür bieten sie ein kostenloses Unterhaltungsprogramm, das bei vielen ihrer zweibeinigen Nachbarn gut ankommt. Das Füttern von Wildvögeln erfreut sich daher großer Beliebtheit. Allein in Großbritannien geben Vogelfans jährlich umgerechnet mehr als 280 Millionen Euro für 150.000 Tonnen Erdnüsse, Sonnenblumenkerne und andere Leckereien aus. Und auch in Deutschland. Österreich und der Schweiz ist der Tisch für die gefiederten Gäste reich gedeckt. Doch können die Tiere wirklich von den gut gemeinten Gaben profitieren? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. „Nicht jeder Vogel reagiert gleich“, erklärt Angelika Nelson vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV). „Schließlich haben die einzelnen Arten unterschiedliche Ansprüche und Verhaltensweisen, weshalb sie auch unterschiedliche Rollen in den Ökosystemen spielen.“ Entsprechend vielfältig ist das Bild, das wissenschaftliche Studien von den Folgen der Winterfütterung zeichnen.

Eine Hoffnung muss Angelika Nelson dabei gleich zu Beginn zerstreuen. „Einen großen Beitrag zum Artenschutz kann man von Futterstellen im Garten nicht erwarten“, betont die Ornithologin. „Denn die Besucher sind normalerweise eher häufige Arten.“ Dazu gehören vor allem flexible Anpassungskünstler wie Finken, Meisen und Amseln, Rotkehlchen, Kleiber und Buntspechte, die sich zumindest im Winter von Samen ernähren.

Für etliche von ihnen scheint sich der Besuch im Schlaraffenland auch durchaus zu lohnen. Eine ganze Reihe von Studien bescheinigt den Futterhaus-Gästen einen besseren Gesundheitszustand, eine höhere Überlebensrate und mehr Nachwuchs als Artgenossen, die sich mit dem natürlichen Nahrungsangebot begnügen müssen.

Andererseits haben solche Wildrestaurants auch ihre Schattenseiten. Wo mehr Vögel als sonst zusammenkommen, steigt das Risiko von Infektionskrankheiten. Und weil sich an den Futterstellen auch Arten treffen, die sonst wenig miteinander zu tun haben, können Krankheitserreger die Artgrenzen besonders leicht überwinden. Welche fatalen Folgen das haben kann, zeigt der einzellige Parasit Trichomonas gallinae. Der ist Anfang des 21. Jahrhunderts von Tauben auf Grünfinken übergesprungen und hat diese vor allem in Großbritannien, wahrscheinlich aber auch in Deutschland massiv dezimiert.

Andere Beobachtungen sind deutlich schwieriger zu erklären. Bei einer Untersuchung in Cornwall hat ein Team um Kate Plummer von der University of Exeter zum Beispiel festgestellt, dass zusätzliches Winterfutter den Bruterfolg von Blaumeisen reduziert. Hatten sich die Eltern regelmäßig den Bauch an Futterstellen vollgeschlagen, war ihr Nachwuchs im folgenden Frühjahr nicht nur kleiner und leichter als der von Artgenossen ohne Zusatzversorgung. Er hatte auch schlechtere Überlebenschancen.

Das kann daran liegen, dass durch die Fütterung auch weniger fitte Elterntiere überleben und Eier legen können, was sich dann auf den Zustand des Nachwuchses auswirkt. Oder die Tiere nehmen fälschlicherweise an, dass der reich gedeckte Tisch im Winter auch ein üppiges Nahrungsangebot zur Brutzeit bedeutet. Dann setzen sie womöglich mehr Nachwuchs in die Welt, als sie versorgen können. Vielleicht liegt das Problem auch einfach darin, dass fettreiches Fastfood keine ausgewogene Mahlzeit bietet.

Klar ist jedenfalls, dass Besuche am Futterhäuschen negative Folgen für die Vögel haben können. Das muss aber nicht sein. Schließlich haben sich gerade Blaumeisen in anderen Studien als ausgesprochene Profiteure der zusätzlichen Fütterung erwiesen. IIn Großbritannien hat der Bestand dieser Art seit den 1960er Jahren um 24 Prozent zugenommen, der der Kohlmeisen sogar um 89 Prozent. Doch was bedeutet dieser Boom für andere Vögel, die von den kulinarischen Zusatzangeboten nicht profitieren können? Darüber sei bisher viel zu wenig nachgedacht worden, meinen Jack Shutt und Alexander Lees von der Manchester Metropolitan University. Sie halten es durchaus für möglich, dass die gut gemeinten Futterspenden die Spielregeln in den Ökosystemen verändern. Und das könnte ihrer Einschätzung nach bedenkliche Folgen für bedrohte Arten haben.

Ihre Befürchtungen illustrieren die Experten am Beispiel von zwei Arten, die eher selten an Futterstellen anzutreffen sind und denen es in Großbritannien alles andere als gut geht. Die Bestände der Sumpfmeisen sind dort seit den 1970er Jahren um 78 Prozent zurückgegangen, die der Weidenmeisen sogar um 92 Prozent. Und dieser Trend betrifft auch Wälder und Feuchtgebiete, in denen sich die Lebensbedingungen für die Tiere nicht verschlechtert haben. Woran also liegt das? Bewiesen ist bisher nichts. Doch die Wissenschaftler haben einen Verdacht.

Im Streit ums Fressen und um Nistplätze ziehen nämlich beide Arten gegen die dominanten Kohl- und Blaumeisen den Kürzeren. Diesen Nachteil versuchen sie mit verschiedenen Tricks auszugleichen. So sind Sumpfmeisen besonders sesshaft und kennen ihr Revier sehr gut. Deshalb sind sie oft die ersten, die neue Futterquellen entdecken. Weidenmeisen hingegen sind in der Lage, ihre eigenen Nisthöhlen zu bauen. Während andere Meisen auf die Vorarbeit von Spechten angewiesen sind, können sie so auch junge Wälder besiedeln. Zudem legen beide Arten Vorräte für schlechte Zeiten an.

Futterstellen und Nistkästen aber machen all diese Vorteile zunichte – und lassen die Konkurrenz immer stärker werden. Die hochgepäppelten Bestände der Blau- und Kohlmeisen breiten sich daher zunehmend in junge Wälder aus. Die Zeiten, in denen Weidenmeisen dort meist ihre Ruhe hatten, sind vorbei. Die kleinen Höhlenbauer können eine Woche damit zubringen, eine Kinderstube in einen Stamm zu hämmern – nur, um dann von einem aggressiven Blaumeisen-Paar aus ihrer Unterkunft geworfen zu werden. Oft passiert das sogar mehrfach in einer Saison. Und zu allem Überfluss werden die Nester auch noch von Buntspechten ausgeräumt, die ebenfalls von der Fütterung profitieren. Kein Wunder also, dass britische Weidenmeisen-Paare immer häufiger kinderlos bleiben.

Ob es in Deutschland ähnliche Entwicklungen gibt, weiß bisher niemand. „Solche indirekten Effekte der Winterfütterung sind schwer zu untersuchen“, sagt LBV-Expertin Angelika Nelson. Doch dass Blau- und Kohlmeisen anderen Arten das Brüten schwer machen, sei durchaus bekannt. Das Nachsehen haben oft Zugvögel wie der Trauerschnäpper. Wenn sie aus ihren Winterquartieren zurückkehren, müssen sie oft feststellen, dass potenzielle Kinderstuben bereits von der durchsetzungsfähigeren Konkurrenz besetzt sind.

Sollte man Vögel aus ökologischen Gründen also besser nicht füttern? Jack Shutt und seine Kollegen plädieren dafür, die Vor- und Nachteile zumindest besser abzuwägen. In wichtigen Refugien von Sumpf- und Weidenmeisen sei es sinnvoll, die Futterspenden zu reduzieren oder ganz darauf zu verzichten. Ein generelles Verbot sei aber weder notwendig noch realistisch, betonen die Forscher. Schließlich habe das Füttern von Wildvögeln nachweislich auch positive Effekte - vor allem für die Menschen, die dieses Wintervergnügen praktizieren.

Angelika Nelson sieht das ähnlich. „Viele Leute kennen die Vogelarten vor ihrer Haustür gar nicht mehr“, weiß die LBV-Mitarbeiterin aus eigener Erfahrung. Das Beobachten der Tiere am Futterhaus sei da ein guter Einstieg, um das Interesse an Wildtieren, an der Natur und ihrem Schutz zu wecken. Doch das ist noch nicht alles. „Vögel zu beobachten, tut einfach gut“, sagt die Ornithologin. Tatsächlich berichten Menschen oft, dass der Kontakt zu den geflügelten Besuchern ihnen eine kleine Auszeit vom Alltag verschafft. Er hilft abzuschalten, Stress abzubauen oder macht einfach Freude. Solche psychologischen Effekte nutzt das Projekt „Alle Vögel sind schon da“, in dem der LBV mit stationären Pflegeheimen kooperiert.

Vor einem Aufenthaltsraum mit einem großen Fenster stellen die beteiligten Einrichtungen eine Futterstation auf, zusätzlich gibt es spezielles Informations- und Anschauungsmaterial rund um die heimische Vogelwelt. Ziel des Ganzen ist es, den Bewohnerinnen und Bewohnern positive Erlebnisse und Anregungen zu bieten und ihnen so zu mehr Lebensqualität zu verhelfen. „Es ist toll, was wir da an Feedback bekommen“, sagt Angelika Nelson. „Die Vögel zu sehen, weckt bei vielen Menschen Geschichten und Erinnerungen.“ Und das ist nicht nur ihr persönlicher Eindruck. Psychologen um Patricia Zieris von der Katholischen Universität Eichstätt haben das Projekt wissenschaftlich ausgewertet. Demnach wirkt sich das Angebot tatsächlich positiv auf das Wohlbefinden der Menschen in stationären Pflegeheimen aus. Ermutigt durch diesen Erfolg will der LBV nun ein ähnliches Programm für Schulen starten. Hochbetrieb am Futterhaus kann schließlich für alle Altersklassen spannend sein.

Tipps zum Vogelfüttern

Der Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) empfiehlt, beim Anlegen von Futterstellen im Garten einige Punkte zu beachten:

Säule oder Häuschen? Wichtig ist, dass das Futter nicht nass wird und kein Kot hineingelangt. Sonst können sich leicht Krankheiten verbreiten. Futtersäulen sind dabei hygienischer als die klassischen Vogelhäuser. Außerdem sind mehrere kleine Futterstellen besser als eine große.

Standort: Futterstellen werden am besten drei bis vier Meter von Bäumen und Sträuchern entfernt eingerichtet. So können die Vögel heranschleichende Katzen rechtzeitig entdecken, zudem finden Ratten und Mäuse kein Versteck in der Nähe.

Futter: Das Futter sollte möglichst kein Getreide enthalten. Denn das lockt eher Ratten und Mäuse an als Vögel. Offene Futterstellen sollten nur so viel Nahrung anbieten, dass sie bis zur Dämmerung leer gefressen sind. Zudem empfiehlt es sich, herunterfallendes Futter mit Tellern aufzufangen oder den Boden regelmäßig zu reinigen.

Reinigung: Futterhäuser sollten regelmäßig abgebürstet und anschließend mit heißem Wasser ausgespült werden. Wenn man an der Futterstelle tote Vögel findet, muss man die Fütterung sofort einstellen, das Futterhaus desinfizieren und alle Futterreste am Boden entfernen.